Veröffentlicht am 3 Sep, 2023
Reform des Sozialen Entschädigungsrechts: Schnellere und einfachere Hilfe

PP 22, Ausgabe August 2023, Seite 368

Spielberg, Petra

Ab Januar 2024 sollen Menschen, die durch eine Gewalttat eine gesundheitliche Schädigung erlitten haben, ihre Ansprüche auf Entschädigung leichter geltend machen können. Anspruchsberechtigt sollen künftig auch Personen mit psychischen Beeinträchtigungen infolge einer Tat sein.

https://www.aerzteblatt.de/archiv/233367?rt=e86455050c06a5cf14bf84715fd9c7cd

Anfang Januar kommenden Jahres tritt ein reformiertes Soziales Entschädigungsrecht für Gewaltopfer in Kraft. Die bisherigen Regelungen wurden dafür in einem neuen Sozialgesetzbuch, dem SGB XIV, zusammengefasst. Ziel der Neuregelung ist, dass Entschädigungsleistungen künftig einfacher und schneller in Anspruch genommen werden können und höher ausfallen sollen. Opfer sexueller Gewalt sollen ferner bessergestellt werden. Zudem gilt künftig das Wohnort- und nicht mehr das Tatortprinzip.

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Für Ärztinnen und Ärzte beinhaltet das SGB XIV insofern auch eine weitere wichtige Neuerung, da der Kreis der Berechtigten auf psychisch Geschädigte ausgeweitet wird. Dies gilt sowohl für unmittelbar durch eine Tat Betroffene als auch für einem Gewaltopfer nahestehende Personen, wie Geschwister oder eheähnliche Lebenspartnerinnen und -partner, sofern auch diese eine psychische Beeinträchtigung infolge der miterlebten Gewalttat erlitten haben. Ebenso können künftig Opfer eines Gewaltangriffs mittels eines Fahrzeugs Ansprüche nach dem SGB XIV geltend machen.

Schutzimpfung auch Thema

Aktuell ist das Soziale Entschädigungsrecht vor allem im Bundesversorgungsgesetz geregelt, das ursprünglich für Kriegsbeschädigte und Hinterbliebene der beiden Weltkriege erlassen wurde. Darüber hinaus haben weitere Personengruppen vergleichbare Ansprüche auf Entschädigungen nach dem Opferentschädigungsgesetz, dem Strafrechtlichen- und Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz, dem Häftlingshilfegesetz, dem Soldatenversorgungsgesetz, dem Zivildienstgesetz und dem Infektionsschutzgesetz (IfSG). So regelt künftig beispielsweise § 24 SGB XIV Entschädigungstatbestände für eine über das übliche Ausmaß einer Reaktion auf eine Schutzimpfung oder andere Maßnahme der spezifischen Prophylaxe hinausgehende gesundheitliche Schädigung anstelle des derzeitigen § 60 IfSG.

Ein wesentlicher Grund für die Reform ist, dass die Zahl der Kriegsopfer und ihrer Hinterbliebenen demografiebedingt stetig zurückgeht, während die Zahl der Opfer einer Gewalttat, die derzeit Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz erhalten, tendenziell zunimmt. Betrug der Anteil der Berechtigten nach dem Opferentschädigungsgesetz im Dezember 2019 rund 28 Prozent, wird er nach Prognosen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) bis Ende dieses Jahres auf voraussichtlich knapp 48 Prozent steigen.

Für all diejenigen, die am 1. Januar 2024 bereits Leistungen der Sozialen Entschädigung erhalten, egal auf welcher gesetzlichen Grundlage, sieht das SGB XIV Übergangsregelungen einschließlich der Möglichkeit des Wechsels in das neue Leistungssystem vor.

Durch die Neuregelungen erhoffe man sich eine schnellere und zielgenauere Verteilung der Leistungen, damit die Betroffenen baldmöglichst wieder in ihren Alltag zurückkehren und die Folgen der Gewalttat bewältigen können, so Frank Wältermann, Leiter des Referats Grundsatzfragen im BMAS.

Wichtig sei dies vor allem für Opfer psychischer Gewalt. Hierunter fallen nach dem SGB XIV alle Formen des sexuellen Missbrauchs, einschließlich Nötigungen und Vergewaltigungen, Menschenhandel, die strafbewehrte Nachstellung (Stalking) einer Person, Geiselnahmen, eine räuberische Erpressung und Straftaten von vergleichbarer Schwere. Handlungen im Zusammenhang mit Kinderpornografie werden als Entschädigungstatbestand nunmehr ebenfalls erfasst.

Eine Studie der Universität Ulm belege, dass eine psychotherapeutische Frühintervention in einer Traumaambulanz nachweisbare positive Effekte hinsichtlich der Dauer und Schwere psychischer Schäden habe, ergänzt Maria Monica Fuhrmann, Regierungsdirektorin beim BMAS. Aus diesem Grund sehe das SGB XIV die Einführung eines sogenannten Verfahrens für Leistungen der Schnellen Hilfe einschließlich der Errichtung eines flächendeckenden Netzwerks an Traumaambulanzen vor. So sollen lange Wartezeiten auf Termine in psychotherapeutischen oder ärztlichen Praxen vermieden werden.

Voraussetzung, um Leistungen der Schnellen Hilfe in Anspruch nehmen zu können, ist der Kausalitätsnachweis zwischen der Gewalttat und der gesundheitlichen Schädigung beziehungsweise den daraus resultierenden langfristigen gesundheitlichen Folgen. Der Zugang zu dem niedrigschwelligen Angebot soll jedem Opfer gewährt werden, das glaubhaft machen kann, dass es infolge einer Gewalttat eine akute oder dauerhafte psychische Beeinträchtigung erlitten hat.

„Die Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Angaben wird nicht überprüft“, so Fuhrmann. Es reiche, wenn der geschilderte Sachverhalt des Tathergangs als wahr zu unterstellen ist und die medizinischen Tatsachen dafür sprächen.

Damit liegt die Beweislast künftig bei den Versorgungsämtern, die die Behauptungen im Einzelfall durch ein psychologisches Gutachten widerlegen müssen.

„Bereits erbrachte Leistungen der Schnellen Hilfe werden nicht zurückverlangt, sollten sich die Angaben des Opfers im weiteren Verfahren als unwahr herausstellen“, erklärt Fuhrmann. Für die ersten beiden Sitzungen sei es zudem nicht erforderlich, einen Antrag beim zuständigen Versorgungsamt zu stellen.

Die Leistungen der Schnellen Hilfe umfassen bis zu 15 Sitzungen für Erwachsene und bis zu 18 Sitzungen für Kinder und Jugendliche. Sofern ein Weiterbehandlungsbedarf besteht, soll dieser dann im Regelsystem auf Kosten der GKV erfolgen. Die erste Sitzung in einer Traumaambulanz muss innerhalb von zwölf Monaten nach dem schädigenden Ereignis oder nach der Kenntnisnahme über die Gewalttat erfolgen. Eine ärztliche Überweisung ist nicht erforderlich, ebenso wenig wie eine Verurteilung des Täters oder der Täterin.

Termin innerhalb fünf Werktage

Noch existiert kein flächendeckendes Netz an Traumaambulanzen. Das Sozialgesetzbuch verpflichtet die Bundesländer aber, bis 1. Januar 2024 durch Verträge mit entsprechenden Einrichtungen ausreichend Kapazitäten zur Verfügung zu stellen, damit Betroffene überall spätestens fünf Werktage nach ihrer Kontaktaufnahme einen Termin erhalten können. Die in den Ambulanzen tätigen Fachärztinnen und Fachärzte müssen über eine traumaspezifische Qualifikation verfügen. Die Kosten für die Sitzungen in einer Traumaambulanz werden vom zuständigen Versorgungsamt übernommen.

Ein weiterer Bestandteil des neuen Verfahrens zu den Schnellen Hilfen ist das Fallmanagement. Für Opfer, deren Leben oder sexuelle Selbstbestimmung durch die Gewalttat geschädigt ist, sieht das SGB XIV ein Fallmanagement verpflichtend vor. Für alle anderen Fälle gilt eine Kann-Regelung. Das heißt, das Opfer kann sich auf Wunsch von einem Fallmanager oder einer Fallmanagerin durch das Antrags- und Leistungsverfahren lotsen lassen. Damit will der Gesetzgeber garantieren, dass die Betroffenen auch alle ihnen zustehenden Unterstützungsmöglichkeiten erhalten. Petra Spielberg

Kurz und bündig

Übersicht Traumaambulanzen

Eine Übersicht über die Versorgungslandschaft mit Traumaambulanzen findet sich auf der Homepage des Projekts „Hilft“.

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Weitere Informationen

Anonyme Onlinedatenbank

Die Onlinedatenbank ODABS ermöglicht Betroffenen von Straftaten, sich anonym über Betreuungs- und Hilfsmöglichkeiten in ihrer Region zu informieren.

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Die wichtigsten Änderungen im Überblick

  • Die Bündelung des Rechts der Sozialen Entschädigung im neuen SGB XIV soll für mehr Transparenz und Rechtsklarheit sorgen.
  • Der Kreis derjenigen, die Leistungen des Sozialen Entschädigungsrechts (SER) beziehen können, wird erweitert. Zukünftig können auch Opfer psychischer Gewalt, insbesondere von sexueller Gewalt, Leistungen des SER erhalten. Eine neue Regelung zur Beweiserleichterung bei der Kausalitätsprüfung psychischer Erkrankungen soll insbesondere Opfern sexueller oder psychischer Gewalt zugutekommen. Menschen, die durch das Miterleben einer Tat beeinträchtigt sind, sollen ebenfalls Leistungen erhalten – unabhängig davon, ob sie dem Opfer emotional nahestehen oder nicht.
  • Betroffene sollen in einem erleichterten niedrigschwelligen Verfahren zeitnahe Unterstützung erhalten. Bundesweit soll sichergestellt werden, dass flächendeckend eine Soforthilfe in einer Traumaambulanz gewährleistet wird. Fallmanager sollen und können Betroffene im Antrags- und Verwaltungsverfahren unterstützen und begleiten.
  • Die bisherigen Geldleistungen werden zu monatlichen Entschädigungsleistungen zusammengefasst und deutlich erhöht. Es besteht zudem die Möglichkeit, Einmalzahlungen als Abfindungen zu erhalten.

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